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Gewebe der Erinnerungen

Lebensgeschichten, feinmaschig verknüpft: Die Künstlerin Barbara Carveng hat 250 in Berlin lebende Personen aus über 50 Nationen einen Teppich herstellen und dabei ihre Geschichten erzählen lassen

VON ANDREA EDLINGER

Irgend etwas stört an dem großen bunten Teppich, der gleich am Eingang der Neuen Aktionsgalerie steht. Seine Dimension, die Farben, das Muster erschlagen einen nahezu. Auch dass er mitten im Raum steht, auf einen Holzrahmen gespannt, eher wie eine Plakatwand als ein Teppich, überrascht. Erst nach einigen Schritten in Richtung Tisch, der mit Notebooks und Kopfhörern bestückt ist, bekommt man die Geschichte dazu erzählt, viele Geschichten. Sie stammen von 250 Menschen aus der ganzen Welt, die es nach Berlin verschlagen hat. Es sind nicht irgendwelche Stories, sondern Berichte über Lebenserfahrungen, über Heimat und Identität der jeweiligen Personen.

Die Schweizer Künstlerin Barbara Carveng hat über sieben Monate hinweg eine Aufgabe an diese 250 Menschen gestellt: Sie sollten ein genau bestimmtes Stück eines 4,5 mal 2,5 Meter großen Teppichs knüpfen. Bei der Arbeit am Knüpftisch ergaben sich Gespräche, die nun in der Neuen Aktionsgalerie über Kopfhörer gehört werden können. Per Mausklick wählt man den Namen oder das Herkunftsland einer Person und dann die entsprechende Aufzeichnung der Unterhaltung. Dabei sitzt man an dem Originalknüpftisch, an dem eben jene Personen aus über 50 Nationen gesessen und geknüpft haben.

Ein stetes Klackern, das die Gespräche untermalt, mummelt ein, lässt die nüchterne Atmosphäre der Galerie vergessen. Fehlt nur noch Kaffeeduft und Kaminfeuer, dann würde man endgültig hineingesogen in eine andere Welt, in der die Rede ist von roter Erde, afrikanischen Bräuchen und Hoffnung. In Kirtidas Welt sind Spaziergänge am Berliner Teltowkanal besonders wichtig. Das Gehen dort beruhigt Kirtida, wenn sie schon nicht zu Hause in Kenia sein kann, wo sie die rote Erde jedes Mal zum Weinen bringt. Ella aus Russland erzählt, wie sie mit ihren Kindern durch Redewendungen Deutsch gelernt hat. Sie ist kaum zu bremsen beim Aufsagen der Sprichwörter. "Heimat ist Erinnerung", meint Semra aus der Türkei. Alle sind sie irgendwie fremd in Berlin, ohne sich heimatlos zu fühlen. Was sie verbindet, ist diese Stadt, ein riesiger Melting Pot. Und dennoch ist das Netz der Stadt so fein gewebt, dass jeder irgendwo Halt findet. Genau darum geht es Barbara Carveng: Um Einzelpersonen mit ganz unterschiedlichen Lebenserfahrungen und -weisen, die ihren Platz gefunden haben.

Tritt man einen Schritt heraus aus der Wohnzimmergemütlichkeit und blickt noch einmal auf den Teppich, versteht man plötzlich, was an ihm so befremdend ist: sein Motiv.

Der Teppich zeigt die Luftaufnahme des amerikanischen Flugzeugträgers "Abraham Lincoln" vom 11. September 2002. Hunderte von Marines formten an jenem Tag den Schriftzug "Ready Now". Damit beantworteten sie zusammen den Aufruf ihres Präsidenten zum Kampf gegen den Terror. Das Bild des Flugzeugträgers zeigt die Bereitschaft, Menschen anzugreifen, nur weil sie anders sind. Viele Konflikte nehmen keine Rücksicht auf Einzelpersonen. Genauso wie die Individuen der Soldaten hinter diesem Schriftzug verschwinden, verstummen auch die Lebensgeschichten der "Knüpfer" hinter dem fertigen Teppich.

Nimmt man die Kopfhörer ab, ist man zunächst irritiert: Das Klackern ist noch immer zu hören. Erst jetzt dringt das raumfüllende Geräusch ins Bewusstsein. Eine Endlosschleife der Arbeitsgeräusche des Knüpfens ist in den Galerieraum eingespielt. Barbara Carveng hat Miniprozesse von Zusammentreffen konserviert. In einem Raum, der mit Versatzstücken des ursprünglichen Arbeitszimmers ausgestattet ist, kann man Einzelteile wieder zusammensetzen. Die blechernen Stimmen aus der Konserve, beliebig abbrechbar oder in Lautstärke regulierbar und das Fehlen jeglicher persönlicher Gegenstände der Menschen vergrößern allerdings die Distanz zu ihnen. Ihre kleinen Teppichteile, die dann zum großen Teppich zusammengesetzt wurden, sind nur noch am Computerbildschirm zu sehen. Wie gerne hätte man ihre Flauschigkeit selbst überprüft. Aber sie sind zu nur einem Orientteppich vernäht. Dabei fällt einem ein, dass man die Geschichte seines eigenen türkischen Nachbarn nicht kennt. Vielleicht sollte man bei Gelegenheit mal danach fragen.

6.2.2004 taz Berlin lokal Kultur 145 Zeilen,
ANDREA EDLINGER S. 26 Rezension